Unsere letzte Veröffentlichung zu ESG bei der Geldanlage konzentrierte sich auf die subjektive Rendite, die mit nachhaltigem Investieren verbunden ist. Weil der Bedarf nach dieser Rendite bei Endkunden groß ist, steckt die Investmentindustrie erheblichen Aufwand in Auflage, Management und Verkauf nachhaltiger Anlageprodukte. Um dabei zu nachhaltigen Anlageentscheidungen zu kommen, verwendet die Industrie ESG Ratings der investierbaren Unternehmen.
Methodische Probleme von ESG Ratings
Vergleicht man die ESG Ratings der Anbieter miteinander, finden sich nur geringe Korrelationen zwischen den jeweiligen Angeboten.
Dieses methodische Problem mag durch subjektive Unterschiede bei der Beurteilung der Schlüsselthemen und bei der Gewichtung der Daten bedingt sein. Auch könnten eine starke Vergangenheitsorientierung oder Greenwashing der untersuchten Firmen eine Rolle spielen. In jedem Fall verdient die geringe Korrelation von ESG Ratings eine genauere Betrachtung.
Manche der methodischen Herausforderungen, deren Inangriffnahme der Regulator von der Industrie erwartet, sind lösbar bzw. werden voraussichtlich durch die EU-Taxonomie angegangen, wie z.B. die Harmonisierung der Kriterien dafür, ob und zu welchem Grad wirtschaftliche Aktivitäten als nachhaltig gelten können. Dabei weisen die nach wie vor erheblichen Kosten für die etablierten Ratings zurück auf die Anbieter, deren Deutungshoheit und Geschäftsmodell durch die fortschreitende Vereinheitlichung der Datenbasis bedroht ist.
Gleichzeitig ist der Markt für nachhaltige Investments offen für alternative Ansätze und Datenquellen. In einem neueren Ansatz von Dr. Andreas Beck (siehe Interview) werden etwa Patentdatenbanken als alternative Datenquelle für nachhaltige Investitionsentscheidungen propagiert. Andere Anbieter lesen online verfügbare Nachrichtenquellen und Veröffentlichungen von Firmen aus (Screenscraping) und verwenden automatisierte Methoden der Textanalyse, um Ratings zu erstellen.
Verzerrte Anlageentscheidungen?
Bezogen auf die wenigen am Markt verfügbaren Ratings können schon kleine Unterschiede bei der Bewertung von Unternehmen bezüglich ihres Umweltverhaltens, der Sozialen Faktoren und Faktoren der guten Unternehmensführung zu unterschiedlichen Anlageentscheidungen führen, das Kapital also unterschiedlich kanalisieren, obwohl vom Anleger immer dasselbe gewollt wird.
Die geringen Korrelationen verschiedener ESG Ratings lassen erhebliche Zweifel an der Validität der Ratings aufkommen, unterstreichen aber auch die Vielschichtigkeit und den Facettenreichtum der nachhaltigen Geldanlage. Eine weitere Facette ist, das sich inzwischen zwar sämtliche Ratinganbieter auch auf die SDGs der Vereinten Nationen beziehen, die Interpretation der Umsetzung sich jedoch wieder erheblich unterscheidet.
Viele Banken und Investmentmanager haben das Problem erkannt und verwenden zusätzliche, eigene Verfahren für die Selektion von ESG Investments. Daher verwenden die Beratungstools von tetralog in der Praxis ESG Daten verschiedener Anbieter, um diese für neuartige Visualisierungen und Optimierungsansätze zu nutzen und regulatorische Vorgaben zu erfüllen.
Gutes tun mit der Geldanlage
Gutes tun mit der Geldanlage stellt eine fantastische Möglichkeit dar, das abstrakte Thema Investments mit positiver Emotion aufzuladen. Wird jedoch die Aussagekraft verfügbarer Daten nicht besser, könnten Endkunden durch den daraus entstehenden Imageschaden verunsichert werden und der „nachhaltigen“ Kanalisierung ihres Kapitals mit zunehmender Skepsis begegnen.
Alternative Ratingverfahren sollten auf jeden Fall positiv gesehen werden, weil sie für mehr Gewissheit sorgen können und somit eine Möglichkeit zur externen Validierung darstellen. In jedem Fall würden uns freuen, Sie mit unseren Lösungen für die ESG Beratung unterstützen zu dürfen. Es gibt noch viel zu tun!
Ihr Lothar Jonitz
München, 07.12.2022 (zuletzt überarbeitet am 20.12.2022)